I. Der Griff nach den Sternen

                    (Zwei Stiere in Venedig)

 

 

 

     Es war einmal / vor langer Zeit, da lebte in der kleinen Ortschaft Müdisdorf unweit von Freiberg in Sachsen ein junges Mädchen, recht lieblich anzuschauen. Katja hieß diese holde Kleine und drückte noch die Schulbank, um sich in ihrer künstlerischen Begabung als Zeichnerin einmal beruflich austoben zu können.

 

     Zur gleichen Zeit war auch ein junger, attraktiver Mann damit beschäftigt eventuell einmal sein Hobby zum Broterwerb umzukünsteln. Moritz hieß er und spielte schon seit Jahren auf der Klampfe, wozu er zur Unterstützung der Lieder seine phänomenale Stimme erklingen ließ und hie und da die Mundharmonika zum Einsatz brachte. Allseits stieß er auf frenetisch zujubelnden Applaus.. Leider kam der Beifall aus der falschen Ecke, worauf er vermutlich psychisch geschädigt sich einer persönlichen Umorientierung unterzog.

 

     Jeder der beiden lebte in seiner eigenen kleinen Welt, träumte so vor sich hin und sah sich, sofern es nicht widersprüchlich und ordinär wurde, in seinen Träumen bestätigt.

Jahre vergingen, Katja wurde groß, Moritz, nicht mehr jung, blieb aber ein attraktiver Mann, der Erfahrungen im Leben sammeln konnte, die andere in seinem Alter nicht im geringsten vorweisen konnten.

 

     „Was nun tun?“, dachte er sich. „Na ja, studiere ich jetzt halt mal.“ Wer nichts wird, wird Wirt - und er schrieb sich alsbald für ein Studium zum Betriebs-Wirt ein. (Wobei er es in vergangener Zeit schon einmal als Wirt versuchte, allerdings in der Gastronomie!)

 

     Als Moritz 30 Jahre alt war, schien es, als seien seine besten Jahre gezählt. Seine Bekanntschaften wurden schwammiger, was nicht allein seiner persönlichen Umorientierungsphase angelastet werden kann, mehr noch vielleicht seiner kognitiven als auch körperlichen Verfassung zu Grunde lag.

 

     Er konnte sich nicht mehr das Geringste auf kürzester Zeit merken. Typische Anzeichen schleichender Demenz, die sich beispielsweise darin äußerte, Abmachungen wie: “Ich werde mich jetzt ändern!“, beim nächsten Treffen mit einem Mädchen wieder grundlegend zunichte zu machen.

 

     Horrender Bartwuchs, sexuell-anhaltende Leistungsverknappung sowie einer Umlagerung der Körpermasse in die Bauchgegend waren die unerregendsten Eigenschaften, welche sich bei ihm am deutlichsten zeigten.

 

     In dem selben Jahr wie Moritz sein letztes Versprechen („Ich werde mich jetzt ändern!“) kundtat, begab es sich, daß die 20-jährige Katja in der selben Stadt wie Moritz umherstromerte. Sie hatte in Jena eine Freundin, mit der sie eines Abends zum Tanz ging. Ein schäbiges, kleines Kellerlokal ohne Fenster war die einzige Konstante, sich in rhythmischen Bewegungen auszuleben, und so ging der Weg schnurstracks darauf zu.

Moritz, dessen Versprechen („Ich werde mich jetzt ändern!“) nicht mehr zogen, mußte sich aus seiner eben verabschiedeten Be-ziehung zurück-ziehen, und wählte die männlichste aller Tugenden, mit der Einsamkeit fertig zu werden, nämlich sich maßlos zu betrinken.

 

     Wie er also dem nächst besten Lokal zusteuerte, fiel ihm ein, er könne doch zuvor noch an der Döner-Bude vorglühen. Zwei, drei Bier dürften ihm genügen, um dann frohgemut und angedudelt das eigentliche Besäufnis anzugehen.

 

     Nachdem er sich auch das dritte Bier ohne Anstand hinter die Binde goß, war es ihm schon nicht mehr möglich, seinen Bierbauch zu vertuschen. In trainierter Selbstverständlichkeit schloß er die Jacke und ging, sich in den spiegelnden Autoscheiben betrachtend, Richtung Marktplatz. Hier wußte er einige Pubs, die seinen Ansprüchen gerecht wurden.

 

     Da fiel sein Blick plötzlich auf dieses schäbige, kleine Kellerlokal. Billige Leuchtreklame versprach günstige Bierpreise, stickige Luft und ein wenig Zoff unter den Trinkern an der Theke. Darauf wollte er sich einlassen, das entsprach in etwa seinem Tagesniveau.

 

     Eine geschlungene Kellertreppe brachte ihn an den Ort seiner versteckten Triebvorstellungen: leichtbekleidete junge Girls - aus Zwang begründeter Körperkontakt - Schweißausdunstungen, die das peinliche Intime dieser Geschöpfe offen darlegen.

 

     Doch da tanzte auch ein Mädchen, die war ganz anders. Sie tanzte wie eine Prinzessin auf Eis. Barfuß. Graziös. In zerrissenen Jeans. Ein Ruhepol, ein seltener Augenblick der Betrachtung, die er fasziniert und kritisch in den Momenten seiner flüchtigen Ausschau nach Ärschen und Titten mit einbrachte. Er konnte seinen Blick nicht mehr von ihr lassen, nicht mehr von Katja lassen, der es bereits auffiel/gefiel, daß sie von Moritz fixiert wurde.

 

     Und es begab sich doch, daß sich die beiden in einem Gespräch wiederfanden. Katja wurde klar, daß sich Moritz auf Dinge konzentriert, die anderen Männern vielleicht gar nicht auffielen oder sie gar weniger reizten. Ihre Art aufzutreten und ihre Worte waren zum Zeitpunkt des Kennenlernens das Hauptmerkmal, welches ihn ansprach und worauf er Wert legte. Ihre Barfüssigkeit stand nur unwesentlich entfernt nuanciert in den selben Koordinaten seiner Beurteilung.

 

     Ein kurzer Plausch führte zum Austausch der Telefonnummern (So schnell kann es gehen..), trotz daß es Moritz beruhend auf der Einnahme von Alkohol ausgesprochen schwerfiel, über eine gegliederte, deutliche Aussprache und Lautbildung zu verfügen. Schließlich gab er sich plump zweifelnd und kritisch, ihr zu glauben, die korrekte Nummer gesagt zu haben.

 

     Doch bereits einen Tag darauf (am 25.Mai, an dem 30 Jahre zuvor Ronald Weigel aus der DDDDR einen Weltrekord im Gehen beging - nämlich 3 Stunden, 38 Minuten und 17 Sekunden auf 50 Kilometern und wiederum am selben Tage 60 Jahre früher Jordanien seine Unabhängigkeit erklärte) schrieb er ihr die folgende SMS: „HierIstDerTyp,DerDichGesternInSeinemBetrunkenemZustandAngequatschtHat..“, und damit war die Sache geritzt, daß hier vermutlich die Basis für eine Bekanntschaft auf Dauer gelegt wurde.

 

     Doch es verstrichen Monate der Enthaltsamkeit, die sie sich nicht sehen konnten. Diese versuchte man zu überbrücken, indem man durch geeignete Formu-lierungen der Kurznachrichten den gegnerischen Part fortlaufend zu Überlegungen, Mitgefühlen und Antwor- ten zwang:

“SitzeGradUnterFranzösischemHimmel..“,“Hey,DuSiehst,IchLassNichtLocker..“,“Hey,Wie Gehts?“ usw.usf..

 

     Und dann begann plötzlich die eigentliche Sache, an der doch alles hing, ins Rollen zu kommen. Moritz schrieb mal wieder eine SMS. Katja wohnte nun in Jena und antwortete gewohnheitsgemäß. Sie trafen sich.

 

     Moritz empfand zu dem Zeitpunkt, wie er sie an diesem verabredeten Geschäft sitzen sah, eine Verbundenheit, die sich nicht einmal ansatzweise begründen ließe. Sie saß einfach da wie ein alter Freund und strahlte. Er war in dem selben Moment wie hypnotisiert von ihrer Erscheinung. Sie lächelte nur. Da lächelte er auch und sie standen sich gegenüber und lächelten nun beide - nach Jahren.. Oder ist es nur ein halbes Jahr her gewesen, daß sie sich kennenlernten, als sie tatsächlich aneinander dachten und sich seitdem etwas zu sagen hatten?

 

     Manchmal gibt es Momente im Leben, da sucht man gar nicht nach der Begründung, da sind die Gefühle schon so präsent, daß sie alles andere in den Schatten stellen können, jegliche Handlung, jeden Sinn, wie vernünftig beides auch sein mag.

     Und sie trafen sich erneut (am 24.September), diesmal am Ufer der Saale, wo „wispernde Wogen die Worte versüßen“. Ein sternklarer Himmel lud ein, sich einen dieser Sterne auszusuchen und seinem Schein zu folgen, der sich irgendwo in fernem Ziel auf der Erde wieder niederschlug. Norwegen, Rußland, Venedig.., das war ein mögliches Ziel, das sind die Träume. Das war, ist und bleibt die Sehnsucht, das Fernweh, das immer wieder auftaucht, wenn die bleibende Erinnerung aus ihrer erlebten Zukunft schöpft und dessen „Duft gemalter Lieder“ die Sinne anregt.


     Kennst du Venedig? Ich liebe es. Du mußt es sehen! Und ich zeige es dir. Laß uns schon nächste Woche aufbrechen. Ich will nun wissen, ob es genauso ist, wie ich es mir in meinen Liedern gedacht habe. Laß uns an einem Kanal sitzen, roten Wein trinken, frei, lachend, wir beide, die Strömung und die Möwen als Vermittler zwischen den flehenden und den vergebenden Herzen sprechen lassen..

 

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Verweise

 

 

Moritz Rabe | Blog »

- dies & das & jenes

 

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- die freie Enzyklopädie

des kultivierten Landtreichers

 

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- die rüpelhafte Alternative

gegen Spießertum und Langeweile

 

 

 

 

 

Auf grauem Asphalt über die verschlungenen Bergstraßen der Pyrenäen nach Euskal Herrira, auf schmalen Wegen nebliger Sicht durch die Finnmark bis hoch ans Eismeer, nachts auf den staubigen Fernstraßen von Innsbruck über Südtirol nach Italien - ich bin sie getrampt, die 1000 Meilen von der Heimat entfernt -den Weg als Ziel- als ein 'König der Landstraße' !

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Der Bart der Fahrt

(Gedanken in der Fremde, am Feuer,

unter fernen Sternen)

 

  • Wo gestern von uns noch keiner stand, werde ich heute schon stehen. Morgen sollt Ihr Euch erinnern!
  • "Wissen Sie, andere leisten sich ein Automobil, eine Segeljacht, ein schickes Haus... Ich leiste mir die Freiheit und einen wunderschönen Tag. Das gibt es aber auch nicht umsonst!"
  • Habe mich gestern zu einem Amerikaner und einen Deutschen im Lokal an den Tisch gesetzt. Sie sprachen ueber die Vorzüge der jew. Nation des Gegenübers. Der eine liebte gönnerisch Deutschland, der andere darauf die USA. Ich sagte abschliessend: "Und ich liebe die Freiheit!"
  • Ich habe Augen&Ohren, ich habe Appetit, ich habe meinen Verstand. Das ist soviel! Das sind entscheidende Grundlagen des zufriedenen Lebens. Prozentual gesehen der größte Anteil dessen. Wie klein ist dann im Vergleich die Jagd nach all den bürgerlichen Reichtümern noch?
  • Ihr Deutschen dürft den Hitler nicht nur vom Namen her verdrängen. Den müßt ihr auch innerlich bekämpfen!
  • Habe heute auf einer Cafèterasse ein 3-4jähriges Mædel gesehen, die hoch empört von einer Statue aus zu ihren Eltern schritt und schimpfte, dass die Statue ein böser Mann sei und ganz viele Menschen getötet habe. (Das war eine Woche nach dem Anschlag in Oslo.)
  • Die "zivilisierte" Welt erlebt dann ihren neuen Fortschritt, wenn sie sich traut, wieder einen Schritt zurueck zu treten. (Luxus fuer alle, anstatt Fortschritt fuer Zivilisierte!)

Auf Diamanten wächst nichts.

Auf Mist aber wachsen Blumen!